Wie in vielen Bereichen der Lebensmittelherstellung waren auch im Backgewerbe die Arbeitsbedingungen lange Zeit erbärmlich. Noch im 19. Jahrhundert waren Bäcker und Konditoren meist bei ihrem Meister untergebracht (Logis) und erhielten dort Essen (Kost). Die dort herrschenden miserablen Arbeits- und Lebensbedingungenschilderte August Bebel in seiner 1890 veröffentlichten Broschüre „Zur Lage der Arbeiter in den Bäckereien“. Die meisten Beschäftigen waren sehr jung: 1895 waren von den 120.399 in Bäckereien Beschäftigten 106.039 unter 30 Jahren, 50 Prozent davon unter 20 Jahren. Vor allem um die nicht begrenzten Arbeitszeiten gab es zwischen Meistern und Arbeitern Auseinandersetzungen. Aufgrund der unverändert nicht geklärten und schlechten Lage der Bäckereiarbeiter erließ der Bundesrat 1896 innerhalb der Gewerbeordnung auch Regelungen für die Arbeitszeit in Bäckereien, die jedoch nur teilweise umgesetzt wurde.

 

 

Um endlich ihre Arbeitssituation zu verbessern, reichten 1905 die Bäckereiarbeiter mehrerer Städte eine Petition an den Bundesrat ein und forderten darin die Einführung eines wöchentlichen Ruhetags mit 36 Stunden Abstand zwischen den Arbeitszeiten. Die Bäckerinnungen wandten sich selbstverständlich gegen diese Forderung und begründeten ihren Einspruch damit, dass die Menschen täglich frische Backwaren haben wollten. Auch argumentierten sie, dass in kleineren Betrieben die Ruhezeit kaum umgesetzt werden könne, es in Großbetrieben mit vielen Maschinen allerdings viel leichter möglich sei.

 

 

 

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Der Drechsler, Sozialdemokrat und Arbeitersekretär in Stuttgart, Hermann Mattutat, beschrieb in seinem Aufsatz für die "Sozialistischen Monatshefte" 1911 die Arbeitsbedingungen in den Bäckereien.

Die Zeitschrift "Sozialistische Monatshefte" wurde 1895 von Joseph Bloch (1871-1936) und Johannes Sassenbach (1866-1940) unter dem Titel "Der sozialististische Akademiker. Organ der sozialistischen Studierenden und Studierten deutscher Zunge". Bloch gab die Zeitung ab 1897 allein unter dem Titel „Sozialistische Monatshefte“ heraus.

Bis 1933 erschienen die "Sozialistischen Monatshefte" in Berlin, Joseph Bloch emigrierte dann nach Prag, wo er 1936 starb. Die Korrrespondenzen, die er mit seinen Autoren führte, sind im Archiv des International Institute of Social History in Amsterdam.

Am 5. Januar 1915 legte die Reichsregierung für alle Bäckereien, Konditoreien und Brotfabriken ein Arbeitsverbot für die Zeit von 19 Uhr bis 7 Uhr morgens fest. Motiviert war dieses „Nachtbackverbot“ allerdings nicht durch einen Arbeitnehmerfreundlichen Regierungskurs, sondern durch den kriegsbedingten Mangel an Weizenmehl. Das Verbot und der Mehlmangel führten schließlich dazu, dass viele Betriebe nicht mehr ausgelastet waren, Arbeiter entlassen und Brot Mangelware wurde.

Nach der Novemberrevolution 1918 wurden in Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Regierung die Arbeitszeiten neu geregelt. Die regelmäßige Arbeitszeit durfte von nun an acht Stunden täglich nicht mehr überschreiten und konnte nur dann bis um 22 Uhr dauern, wenn dazwischen eine mindestens 16stündige Ruhepause gewährt wurde.

Am 29. Dezember 1936 wurde ein Gesetz verabschiedet, dass Bäckern Nachtarbeit von 21 bis 4 Uhr und Sonntagsarbeit verbot. Dabei gab es zahlreiche Ausnahmen. Bei der Herstellung von Konditoreiwaren und Brot war Arbeit am Sonntag und nachts beispielsweise erlaubt.

Auch nach dem Krieg gingen die Diskussionen über das Nachtbackverbot weiter. Ab 1951 war die bundesdeutsche NGG darum bemüht, zum Status quo von 1918 zurückzukehren und den Arbeitsbeginn wieder auf sechs Uhr festzulegen. Ein Argument dabei war, dass das 1936 erlassene Gesetz der Verfassung der Bundesrepublik widerspräche und deshalb nicht gelten würde. Auch die Regelungen des Ladenschlussgesetzes beeinflussten die Arbeitszeiten der Bäckereien. Letztlich benachteiligte das Nachtbackverbot Großbäckereien und bevorzugte das Bäckereihandwerk. Die NGG war in die Verhandlungen zu einem 1967 konzipierten Gesetzes über die Arbeit in Bäckereien und Konditoreien eng eingebunden. Der NGG-Vorsitzende Günter Döding führte zahlreiche Gespräche mit den Arbeitgebervertretern und den Bundestagsabgeordneten. So wurde erreicht, dass als Ausgleich für die durch ein aufgeweichtes Nachtbackverbot benachteiligten Handwerksbetriebe ein Sozialfonds entstand, den die Brotindustrie finanzierte und aus dem Zahlungen an die gewerkschaftlich organisierten Mitglieder geleistet wurden.

Der ausgehandelte Kompromiss trat 1969 in Kraft und ermöglichte nun Nachtarbeit von Freitag auf Sonnabend. Der Arbeitsbeginn blieb bei 4 Uhr. Jede zweite Woche, außer Sonnabends, durfte erst um 5 Uhr mit der Arbeit begonnen werden, der Ausfuhrtermin wurde auf 6 Uhr vorverlegt.

In der DDR gab es währenddessen keine Regelung wie das Nachtbackverbot, es wurde nachts fleißig ohne Einschränkungen gebacken. So kam es zu der kuriosen Geschichte, dass 1968 der aus Hannover stammende Unternehmer Hans-Joachim Ermeler mit der Ost-Berliner Intrac, einer Firma des Bereichs „Kommerzielle Koordinierung“, über die Lieferung von 60.000 Brötchen pro Nacht verhandelte. Mit dieser Umgehung des bundesdeutschen Nachtbackverbots winkte ein stattlicher Jahresumsatz von ca. 1 Mio. Westmark und so ließ Intrac mitteilen, dass eine Kooperation möglich sei. Man einigte sich schließlich auf eine Lieferung von 15.000 Brötchen pro Nacht, die im Raum Magdeburg gebacken wurden.

Das Bundesverfassungsgericht bestätigte 1976 noch einmal die Verfassungsmäßigkeit des Nachtbackverbots. Veränderte Produktions- und Arbeitsbedingungen führten im Zuge der Änderung des Ladenschlussgesetzes im Jahre 1996 schließlich zur Aufhebung des Nachtbackverbotes.